Rose #83/2022


Sehr geehrter Herr Dr. …,
ich möchte Ihnen auf diesem Weg eine Rückmeldung dazu geben, wie ich Ihr Eingreifen bei der Geburt unserer Tochter am ….10.22 erlebt habe.
Den von Ihnen durchgeführten Kristeller-Handgriff habe als massive Gewalteinwirkung erlebt.
Ich bin mir sicher, dass Sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben und diese Intervention aufgrund des pathologischen CTG als notwendig erachtet haben, etwas anderes möchte ich Ihnen auch gar nicht unterstellen.
Klar habe ich mir meine Geburt anders gewünscht, es war ja auch eine verlegte Geburtshausgeburt und ich habe mir grundsätzlich eine interventionsfreie Geburt gewünscht.
Die anderen Interventionen (Wehentropf, PDA, Saugglocke) kann ich annehmen, da ich ihre Notwendigkeit nachvollziehen kann und bei Wehentropf und PDA auch frei mitentscheiden konnte.
Die Hebamme, die mich bei der Geburt begleitet hat, hat mir alles gut erklärt, ihr Handeln transparent gemacht, mich mit Respekt behandelt, mir die Entscheidungen über Interventionen überlassen und nichts ohne Ankündigung gemacht.
Die Saugglocke war auch nicht angenehm, ich habe die Notwendigkeit aber gesehen und hätte ohne Ihr Eingreifen auch trotzdem noch aktiv mitarbeiten können. Auch hat sich das nicht im Entferntesten so bedrohlich angefühlt wie das Kristellern durch Sie.
Sicher ist die Geburt nicht so gelaufen, wie ich sie mir gewünscht habe, aber mit den eben genannten Interventionen kann ich leben, das sind allenfalls Enttäuschungen, die ich gut verarbeiten kann und deren Notwendigkeit ich auch sehe.
Das von Ihnen durchgeführte Manöver dagegen war wirklich traumatisch für mich. Das Bild von Ihnen, Sie von hinten wie Sie auf meinem Bauch liegen, hat sich mir eingebrannt. Ich wache nachts auf und höre mich „Nein“ schreien und Sie „Doch“ sagen. Ich kann immer noch nicht darüber sprechen, weil ich dann nur noch weine.
Ich habe noch nie so eine massive Gewalteinwirkung erlebt und bin gleichzeitig noch nie so hilflos und ausgeliefert gewesen. Ich habe noch nie so „Nein“ geschrien und bin gleichzeitig noch nie so übergangen worden.
Ich war in dem Moment komplett passiv, ich konnte nicht mehr mitschieben, habe an der Geburt meiner Tochter nicht mehr teilnehmen können. Ich habe nur noch versucht, meine Bauchmuskeln anzuspannen um Ihnen dagegenzuhalten, da ich mir sicher war, dass Sie mir sonst alle Organe zerquetschen würden. Mein Gedanke in dem Moment war: „Der quetscht jetzt noch das Kind aus mir raus aber ich überlebe das nicht“. Ich hatte in dem Moment Todesangst.
Durch Ihr Einwirken habe ich die schlimmsten Schmerzen und die größte Angst der kompletten Geburt erlebt. Und ich frage mich, ob das überhaupt nötig war.
Die Leitlinie beschreibt, dass eine Einwilligung notwendig ist und Frauen ein Vetorecht haben. Beides haben Sie mir nicht zugestanden.
Zudem handelt es sich um eine umstrittene Methode, die von der WHO nicht empfohlen wird. Das wusste ich in dem Moment auch, da ich mich in der Schwangerschaft intensiv mit geburtshilflichen Interventionen auseinandergesetzt habe.
Ich weiß nicht, wie ich es erlebt hätte, wenn Sie mich kurz aufgeklärt hätten, mir die aus Ihrer Sicht ja offenbar vorhandene Notwendigkeit erklärt hätten, mir gesagt hätten, dass das weh tun wird aber mir dabei nichts passiert, auf mein „Nein“ reagiert hätten… Ich kann mir aber vorstellen, dass ich es einfacher hätte verarbeiten können, auch wenn ich es sicher weiterhin kritisch gesehen hätte.
Ich bin so dankbar für meine wunderbare Tochter und auch dankbar, dass sie gesund ist und alles gut überstanden hat. Ich bin psychisch aber nicht gesund aus meiner Geburt herausgegangen. Die ersten ruhigen Momente mit meiner Tochter konnte ich nicht genießen, sie waren von Schock und Entsetzen geprägt.
Dass Gebärende und Kinder nicht nur körperlich, sondern auch psychisch wohlauf aus ihren Geburten gehen, sollte aber auch Ziel von Geburts“hilfe“ sein.
Während der Geburt befand ich mich in einer der verletzlichsten Situationen meines Lebens, ich war dem geburtshilflichen Personal ab einem gewissen Punkt völlig ausgeliefert. Für Sie ist es normaler Arbeitsalltag, für mich vielleicht sogar der bedeutendste Moment in meinem Leben.
Ich hoffe, dass Sie mit meiner Rückmeldung etwas anfangen können und dadurch anderen Frauen derartige Erfahrungen erspart bleiben.
Ich erwarte keine Antwort von Ihnen und möchte mich auch nicht weiter darüber austauschen.
Mit freundlichen Grüßen, …

 
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