Rose #13/2022
Das Opfer einer Geburt
Ich möchte meine Geschichte erzählen, eine Geschichte voller Tabus. Viel zu wenig wird über dieses Thema gesprochen und ich weiß, dass ich damit nicht allein bin.
Ich bin Mama von 2 ganz wunderbaren Töchtern, aber die Geschichte ihrer Geburten könnte unterschiedlicher nicht sein.
2012
Dienstag, 17. Januar
Meine Hebamme war gerade da,zur Akkupunktur um die Geburt einzuleiten, nur noch 4 Tage bis zum Termin. Ich erwarte dieses Baby so sehnsüchtig. Die Schwangerschaft lief nicht ohne Komplikationen ab. In der 12. Woche hatte ich Sturzblutungen, mit anschließender Bettruhe, ein Hämathom hatte sich unter der Gebärmutter gebildet und ging ab (9 cm mal 7 cm). Im 5. Monat dasselbe nochmal, danach gab es vom Chef Beschäftigungsverbot. Ich war damals Soldat, mein absoluter Traumjob.
Es ist Nachmittag, ich liege auf der Couch und habe ein bisschen Wehentätigkeit. Ich beobachte das bis abends, gehe in die Wanne und danach steht fest: ES GEHT LOS!!!
Wir fahren ca. 30 km bis zur ausgewählten Klinik, eine Klinik mit einer Kinderintensivstation hat, nur für den Notfall. Unvorstellbar, wenn mit meinem Baby etwas wäre und es zur weiteren Behandlung in eine andere Klinik gebracht werden müsste.
19:30 Uhr wir kommen an, eine Schwester nimmt uns auf und dann gehts erstmal ne Stunde ans CTG, hier ist alles gut, wir gehen im Krankenhaus spazieren, die Wehen werden stärker, ab in den Kreissaal. Ich darf nochmal in die Wanne, inzwischen ist es 23 Uhr. Raus aus der Wanne, rein in den Kreissaal. Die Ärztin kommt, Muttermund ist 2 cm geöffnet, es dauert also noch. Die Herztöne der Kleinen werden schlechter, sie hat keine Kraft mehr. Die Ärztin entscheidet, dass eine PDA gelegt wird und ehe ich mich versah, stand der Anästhesist schon hinter mir, die Nadel schon in meinem Rücken. Wieso, weshalb, warum-darüber kein Wort. Alles unterhalb der Gürtellinie wird taub, wir schlafen ein bisschen.
Mittwoch, 18. Januar
Es ist 5 Uhr morgens, die Oberärztin kommt und untersucht den Muttermund, es hat sich nichts getan, ich frage was los ist, sie sagt Geburtsstillstand. Sie sprengt die Fruchtblase, aber statt einem Schwall Fruchtwasser, tröpfelt es nur ein bisschen, an ihren Handschuhen kann ich sehen, dass das Fruchtwasser grün ist. Ich hatte gelesen, dass das kein gutes Zeichen ist! Sie klärt mich über einen möglichen Kaiserschnitt auf und gibt mir nach meiner Einwilligung die Papiere zum unterschreiben, ich war beruhigt. Sie wollte noch ein bisschen warten und gab mir wehenfördernde Mittel. Die Schmerzen kamen zurück, mit voller Wucht, aber nur auf einer Seite. Ich hatte das Gefühl es steckt ein Messer ganz tief in meinem Hüftknochen und es wird immer tiefer reingeschoben und gedreht. Die PDA wurde aufgefrischt. Das brachte aber nichts, mir war übel. Gegen 9 Uhr kam das erste Mal der Chefarzt um nach mir zu schauen, er schien besorgt. Als ich ihn nach dem Kaiserschnitt fragte, sagte er, wir warten noch eine Stunde, die Kleine macht das schon.
Wir sind allein im Kreissaal, ich sage meinem Freund, dass was nicht stimmt und dass er Hilfe holen soll. Er ging und kam mit einem Schwall Schwestern wieder, Lernschwestern, wie man mir erklärte, ich war ein Paradebeispiel für eine nicht reibungslose Geburt.
Die OÄ kam wieder und drehte den Tropf für die wehenfördenden Mittel weiter auf und schlagartig hatte ich Wehen, alle 1,5 Minuten. Ich war so erschöpft, und so zugepumpt mit Medikamenten, dass mir nicht mehr nur übel war, sondern ich auch hohes Fieber bekam, wirklich hohes Fieber. Ich verlor nach jeder Wehe das Bewusstsein. Der Schmerz riss mich förmlich ins Leben zurück. Inzwischen hatte ich 7! Mal nach dem Kaiserschnitt gefragt, er wurde mir verweigert!
Gegen 11:30 kam der Chefarzt wieder und beschloss dem nun ein Ende zu machen und entschied, das Baby wird per Saugglocke geholt. Als ich das Ding sah, dachte ich, ich würde das nicht überleben, mein ganzer Körper schmerzte. Meine Beine wurden auf zwei Stützen gelegt, das Zimmer füllte sich mit Personen, der Chefarzt, die Oberärztin, der Anästhesist, ein Kinderarzt, zwei Hebammen, und diverse Lernschwestern, insgesamt starrten 12 Augenpaare auf meinen entblößten Unterleib.
Dann gings los:
Der Chefarzt setzte die Glocke an und mit der nächsten Wehe schob er das Ding in mich rein, breit wie ein Flaschenboden, aus Metall, ich hatte das Gefühl zu zerreißen. Mit der nächsten Wehe sollte das Baby raus. Die Wehe kam, ich sollte pressen, die OÄ stützte ihren Unterarm auf meinen Bauch und drückte so sehr, dass ich keine Luft mehr bekam. Der Chefarzt zog an der Glocke, das Baby kam, das Köpfchen war zu sehen, doch plötzlich löste sich das Vakuum der Glocke, sie riss ab und die Kleine rutschte wieder hinein.
Das Ganze also nochmal von vorne, ich blutete ziemlich, alles war wie wund. Es war die Hölle genau zu wissen, was jetzt kommen würde, ich hab nur noch gewimmert, diese vielen Menschen um mich herum, die mich alle anstarrten. Beim nächsten Versuch kam das Baby dann, aber sie war blitzeblau und gab keinen Ton von sich. Der Kinderarzt nahm sie sofort an sich, untersuchte sie, wickelte sie in ein Handtuch. Dann endlich gab er mir meine Tochter auf die Brust, und mein Herz brach, als ich den gequälten Ausdruck in ihren Augen sah. Sie hatte schreckliches erdulden müssen, genau wie ich!
Eine der Schwestern nahm das Baby und ging mit dem Papa nach nebenan, zum Messen und Wiegen, es ging ihr offensichtlich körperlich gut.
Mir gab man noch einmal ein wehenförderndes Mittel, damit sich die Plazenta löst und raus kommt, aber sie kam nicht, es wurde ein bisschen getuschelt um mich herum, ich bekam jedoch nicht mehr viel mit, ich war zu erschöpft und einfach froh, dass es vorbei war.
Die Nachgeburt kam nicht, aber der Papa kam mit unsrer Tochter wieder. Sie sah mich an, als würde sie sagen wollen, „Echt jetzt? Was soll der Scheiß hier?!“
Plötzlich kam Hektik auf, Schwestern eilten aus dem Zimmer, Ärzte kamen herbei, es hieß ich müsse sofort in den OP, für eine Ausschabung, weil die Nachgeburt einfach nicht kommen wollte. Eine Trage wurde reingerollt, man half mir auf die Trage und deckte mich zu. Ich fror ganz fürchterlich. An der Tür steht mein Freund mit unserem Baby auf dem Arm- das letzte was ich sah, bevor alles warm und dunkel wurde. Ich verlor das Bewusstsein!
Blut! Überall Blut, ich träumte. OP-Besteck klapperte, Stimmengewirr, ich war so müde. Ich schlief tief und fest und friedlich.
Ich fühlte mich bleiern, der Körper schwer wie Beton, die Lippen dick eingecremt, sie waren komplett aufgeplatzt, ich hatte keine Ahnung, was los war, oder wo ich bin. Ich öffnete die Augen, helles Licht blendete mich, Geräte piepsten, eine Schwester beugt sich über mich und fragt wie ich mich fühle, ich frage sie wo ich bin, sie erklärt mir, ich sei im Krankenhaus, hatte eine lange, schwierige OP. Sie hole den Arzt. Ich hatte Durst und Schüttelfrost. Der Arzt kam und erklärte mir, dass während der Geburt die Saugglocke ein Loch in die Gebärmutter gerissen hatte und sich Blut angesammelt hatte, die Plazenta hatte den Ausgang verstopft, und als Diese sich löste, verlor ich ca 3 Liter Blut. Mein Herz hörte auf zu schlagen, man musste mich wiederbeleben. Ich bekam 1 Liter Blutkonserven und man nähte zusammen was ging.
Meine Tochter kam am 18.01.2012 um 13:04 Uhr zur Welt, mit einem Gewicht von 2780 Gramm und 50 cm, ein winzig kleines Püppchen, so zart. Ich sah sie das erste Mal über 5 Stunden nach ihrer Geburt. Ich wurde auf mein Zimmer gebracht, dort wartete mein Freund mit unsrem Schatz. Ich war so geflasht von ihr und glücklich. Über Nacht nahm die Schwester sie mit, ich durfte nicht aufstehen.
Donnerstag, 19. Januar
Ich schlief in dieser Nacht wie ein Stein, bis die Tür aufflog, eine ältere Schwester herein polterte und blaffte, dass wir zum Frühstück gehen sollen. Ich sagte der Schwester, dass ich nicht aufstehen könne. Sie riss meine Bettdecke weg und sagte, ich solle mich nicht so anstellen. Sie sah den Blasenkatheter, lies die Decke einfach fallen und ging. Wenig später kam eine weitere Schwester und brachte mir mein Frühstück. Gegen 10 Uhr brachte man mir endlich meine Tochter, sie schlief friedlich in ihrem Bettchen, rausnehmen konnte ich sie allein jedoch nicht. Zum Mittag kam der Blasenkatheter raus und ich musste aufstehen um auf die Toilette zu gehen, mir wurde sofort schwarz vor Augen.
Als nachmittags meine Schwiegereltern kamen und jeder mal das Baby halten wollte, kippte die Stimmung, die Kleine weinte durchgehend, es ging ihr nicht gut. Ich holte eine der Schwestern und diese nahm sie mit. Als sie wiederkam, sagte sie, dass der Kinderarzt das Baby mitgenommen habe. Nach Stunden kam die Schwester wieder und sagte, dass meine Tochter auf der Intensivstation liegt, mehr würde man mir gleich mitteilen. Der Arzt kam und erklärte uns, dass N. eine sogenannte Ablederung am Kopf habe, die von der Saugglocke stammt, das bedeutet, dass die Haut an der Stelle wo die Glocke aufgesetzt wurde, sich vom Kopf gelöst hatte und dort eine offene Wunde hinterlassen hat. Ich war schockiert, sowas darf doch nicht passieren! Es würden noch weitere Untersuchungen geben. Da es schon Abend war durfte ich nicht mehr zu ihr. So lag ich dann da, mit meinem geschundenen Körper und der Sorge um mein Baby. Ich heulte die ganze Nacht bis keine Tränen mehr kamen.
Freitag, 20. Januar
Diese ältere Schwester schoss wieder in mein Zimmer und wollte meine Narbe sehen. Ich wusste nicht was sie von mir wollte, sie war der Meinung ich hätte einen Kaiserschnitt gehabt, ich war so genervt von dieser Person, dass ich all meine Kraft zusammen nahm, ihr meine Bettdecke entriss und sie anbrüllte, sie solle sich jetzt ins Schwesternzimmer scheren und erstmal meine Akte lesen, bevor sie das nächste Mal mein Zimmer betritt! Ich sah diese Person nie wieder, zum Glück. Von da an war ich auf Krawall gebürstet! Ich verweigerte mein Frühstück, lies meinen Freund in aller Hergottsfrühe antanzen und befahl ihm mir eine kompetente Schwester zu bringen, die mir Auskunft über den Zustand meines Kindes geben kann. Besagte Schwester kam und sagte, sie sei gerade bei N. gewesen, es gehe ihr den Umständen entsprechend gut. Wenn der Chefarzt sich das Kind angeschaut hat, würden wir zu ihr gebracht. Ich orderte einen Rollstuhl, da die Kinderintensivstation ein Stockwerk höher lag. Als ich dort ankam blieb mir die Luft weg. Ein Raum aus Glas, 4 Betten in denen winzig kleine Geschöpfe lagen. Etliche Schläuche hingen an Ihnen und Geräte, die Piepsten. An jedem Bettchen stand ein Sessel, zwei davon mit einem Elternteil besetzt. 4 Schwestern, für jedes Baby eine. Und im 3. Bett lag meine Tochter, viel größer als die anderen 3. Die anderen Babys waren alles Frühchen. Ich fing an zu weinen, ich konnte nicht mehr. Der Chefarzt kam und erklärte uns, dass die Ablederung zwar eine Narbe hinterlassen würde, das sonst aber nicht weiter schlimm sei. Man habe noch weitere Untersuchungen gemacht und dabei festgestellt, dass sie eine Hirnblutung im rechten vorderen Bereich des Hirns habe. Ein Schlaganfall also. Die Blutung habe zwar bereits aufgehört, aber man könne nicht sagen, ob es bleibende Schäden geben wird. Und so wurden wir stehen gelassen. In diesem Moment, sagte ich zu meinem Freund, dass ich kein behindertes Kind haben möchte, nicht nachdem ich das alles durchstehen musste. Heute schäme ich mich für diesen Satz!
Ich besuchte mein Kind in jeder freien Minute, hielt sie im Arm. Sie schlief auf meiner Brust und wenn ich nicht bei ihr war, heulte ich mir die Augen aus. Sonntag, am 22. Januar wurde ich von der Wochenbettstation entlassen und bekam ein Bett auf der Intensivstation, dort konnten Mütter bleiben während ihre Babys in Behandlung waren. Alle 3 Stunden musste ich ins Stillzimmer und abpumpen, aber es kam nichts. Man setzte mich extrem unter Druck, dass Muttermilch das Beste für die Kleine wäre, aber es kam einfach nichts. Ständig kam die Schwester und ihr Blick sagte mir, dass ich unfähig sei mich um mein Kind zu kümmern. N. schlief den ganzen Tag, sie wollte auch nicht trinken. Jeden Tag wurde ein Ultraschall gemacht, der Befund blieb der Gleiche.
Dienstag, 24. Januar
Der Chefarzt sagte uns, dass er nochmal Ultraschal gemacht habe und alles genauso aussieht wie schon die letzten Tage. Und man könne vermutlich erst im Schulalter sehen ob N. Schäden davon getragen hat, oder nicht. An diesem Tag beschloss ich, dass wir nach Hause gehen! Nachmittags entließ man uns, mit der Ungewissheit, was uns in Zukunft erwarten würde.
Zuhause angekommen bat ich meinen Freund eine Flasche für die Kleine fertig zu machen. Man hatte mir das Stillen so madig gemacht, dass ich es nie wieder versuchte. Ich gab ihr die Flasche und mein Mädchen trank die ganze Flasche. Danach legte ich sie in ihr Bett und dort saß ich die ganze Nacht und weinte, weil ich nicht wusste wie es weitergehen würde.
Meine Diagnose bei der Entlassung lautete:
Plazentaablösung während der Geburt, Vakuumextraktion, Riss der Gebärmutter, Notoperation mit hohem Blutverlust und Herzstillstand. Scheidenriss 3. Grades, Dammriss 3. Grades.
Dem Baby ging es zuhause sehr gut und das war das Wichtigste, zumindest für alle anderen. Meine Geschichte wollte niemand hören, zu extrem! Ich quälte mich jahrelang. Die Beziehung zum Papa scheiterte 4 Monate nach der Geburt, an körperliche Liebe war nicht zu denken. Ich war ein Schatten meiner selbst und als ich eines Tages dachte, dass ich am liebsten meinem Leben ein Ende setzen möchte, wusste ich, dass ich Hilfe brauche. Für mich. Und vor allem aber für und wegen meiner Tochter! Ich begann eine Therapie, ich war lange krank, und verlor meinen Job. In der Therapie lernte ich, dass nicht ich schuld hatte an dem was uns passiert ist und ich beschloss, meine Geschichte immer mehr Menschen zu erzählen, und erhielt immer dieselbe Reaktion. Ich wagte den Schritt und verklagte die Klinik auf Schadenersatz für meine Tochter und auch für mich. Aber gebracht hat es mir nur Schulden in Form von Gerichtskosten, die ich bis heute abzahle!
2022
Wir erfuhren keine Gerechtigkeit, aber heute, fast 11 Jahre später, geht es uns gut.
N. hat keine körperlich oder geistigen Schäden zurück behalten, nur die Narbe an ihrem Kopf erinnert noch an ihren dramatischen Start ins Leben.
Vor 9 Monaten habe ich meine zweite Tochter per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Als ich zur Geburtsplanung im Krankenhaus meine Geschichte erzählte, waren die Hebammen so schockiert darüber, dass man mich in Watte packte. Ich fühlte mich gut behandelt und hatte keine Angst vor dem was kommen mochte. Ich hatte meine beste Freundin dabei und nicht den Papa. Sie ist der einzige Mensch auf Erden, der mir in dieser Situation Beistand leisten konnte, sie hat meine Geschichte so oft gehört, all die Jahre mit mir durchgestanden und jede Träne mit mir geweint.
Die Geburt meiner 2. Tochter hat mir gezeigt, dass es wunderschön sein kann Mutter zu werden, mit allem was dazu gehört.
10 Jahre lang war mir das verwehrt geblieben. Meine große Tochter ist ein ganz wunderbarer Mensch, so liebevoll, empathisch, hilfsbereit, positiv. Sie kennt ihre Geschichte und sie weiß, dass uns das immer ganz besonders verbinden wird. Wir sind beide gezeichnet davon, aber wir haben es geschafft, haben überlebt und egal wie viele Tränen wir deswegen noch weinen werden, diesen Sieg kann uns keiner nehmen!